Die neue Sicht auf den Menschen

Die Neukonzeption des Menschen und seines Körpers ist ein zentraler Aspekt der Gegenwartskunst. In einer affirmativen Linie zu Marcel Duchamps entfremdeten Manipulationen und öffentlichen Inszenierungen seiner Persönlichkeit zu Beginn dieses Jahrhunderts, über die kompromißlose Hochstilisierung der eigenen Berühmtheit zur Kunstform durch Andy Warhol sowie die Hyperrealität der Pop-art im allgemeinen, bis hin zur Verschmelzung der realen mit virtuellen Erscheinungsform des Menschen im Cyberraum, hat sich der Blick des Künstlers auf die menschliche Figur im Laufe der letzten Jahrzehnte radikal gewandelt. Die in einer Introversion entstandene klassisch-subjektive Projektion des Menschenbildes auf das traditionelle Tafelbild ist einer konzeptionellen Totalperspektive auf den Menschheitsentwurf gewichen.

Dieser affirmativen Linie folgend, manifestieren sich denn auch in den "Menschenbildern" von Markus Treml komplexe Denkmodelle. Bei seinen in Lebensgröße auf Holz gemalten und auf die Farben Schwarz und Weiß reduzierten Menschenansichten beispielsweise handelt es sich um modellhafte Ent-Anonymisierungsversuche. Der Mensch, der sich anonym in der Masse bewegt, wird fixiert und aus einer möglichen Belanglosigkeit herausgefiltert. Dem entpersonalisiert in der Masse untergehenden Körper wird für einmal ein Gesicht aufgesetzt. Durch Tremls künstlerischen Eigriff werden unbekannte Figuren plötzlich greifbar und ins Bewußtsein transformiert. Dies allerdings nur scheinbar und temporär. Denn die in beiläufigen, alltäglichen Posen festgehaltenen Gestalten des Künstlers driften, obwohl sie oft von einer gläsernen, fast antiseptischen Klarheit bestimmt sind, umgehend wieder ins Haltlose ab, kaum daß man sie "erkannt" zu haben glaubt. Das plakative Malkonzept sowie die Präsentation der "Menschenbilder" - Treml reiht sie seriell aneinander und erzeugt dadurch im Prinzip eine neue anonyme Masse - sind unter anderem dafür ausschlaggebend.

In besonderem Masse augenscheinlich wird die Vielschichtigkeit Treml'scher Figuration anhand seiner objektbezogenen Arbeiten. Die monumentale Stahlplastik etwa, die der Künstler für das "Museum für zeitgenössische Metallplastik" erarbeitet hat, durchschreitet formal und inhaltlich mehrere Ebenen. Entsprechenden Deutungsversuchen sind denn auch kaum Grenzen gesetzt.

Treml geht hier von einem industriellen Abfallprodukt aus - einem Aschensilo, der verschrottet werden sollte - und führt es einer "postindustriellen" Nutzung zu, indem er es zum Bestandteil einer Skulptur werden läßt und damit neu funktionalisiert. Dieser Silo wird von einer überdimensionalen Menschengestalt perforiert, die mit sich selbst zu ringen scheint. Die Auslieferung des Menschen an die moderne Technik und Wissenschaft wird hier genauso symbolisiert wie die logische und kausal bedingte Verschmelzung und Einbettung. Diese Analogie läßt sich nicht nur aus der formalen Wirkung der Großplastik herleiten, sondern liegt bereits in der aufwendigen Herstellung einer solchen Skulptur begründet.

Zum ehemaligen Aschensilo führt ein Förderband hin bzw. weg. Markus Treml befestigte darauf eine ganze Reihe von Stahlplatten, aus denen er die Umrisse menschlicher Gestalten herausschweißte. Es entsteht dadurch der Eindruck, als ob sich eine undefinierbare Menschenmenge wie scherenschnittartige Silhouetten zum perforierten Stahlsilo hin- oder von ihm wegbewegte. Die in die technoide Welt eingezwängte Welt wird hier gleichsam zur Groteske.

In diesem Sinne geht von der Gesamtheit dieser monumentalen skulpturalen Anlage eine Ästhetik aus, die im selben Maße fasziniert wie sie bedrohlich wirkt.

Karlheinz Pichler