Der Zeitgeist wurde sehr oft strapaziert, in Analysen und
vor allem im Wettlauf um Geld und Geschäftsideen. Zum Modewort degradierte man
ihn, als er schneller wurde, schneller als diejenigen unter uns, die ihm
verzweifelt hinterherrannten.
Scheuchers zweitem Buch wird er erklärt, dieser Zeitgeist. So nebenbei
wird der Autor im auch gerecht in seiner Art zu schreiben, auch wenn er das
böse Wort nicht einmal in den Mund nimmt.
"Error
21" spuckt geballte Informationen in kurzen, prägnanten Abschnitten in das
staunende Lesergesicht. Es unterstellt sich dabei mit dem Titel selbst einen
Grundpessimismus, eine Hoffnung für die Weltuntergangstheoretiker, die
allerdings nicht erfüllt wird. Es wirft mit Quellenangaben aus dem WorldWideWeb
um sich, in einer Art, die manchem Studenten immer noch untersagt bleibt, da
das Internet seine Seriösität an den Universitäten wohl nur anerkennt bekommt,
wenn die Alten von den Stühlen weggestorben sind. Aber das einzige, was
heutzutage offensichtlich länger dauert, als früher, ist das Leben selbst. Die
Lebenserwartung steigt, während alles andere an uns vorbeirast: Die dritte Ehe,
die vierte Tabaksteuererhöhung, die Abgasnormen für die Gebrauchten, die DSL
Tarife, Megapixelpreise, die Regierungen und Kriege, die Modetrends, die
MustHaves und die aufgedrückten Spleene der jungen Generationen. Computer und
Handys haben technische Halbwertszeiten, die ihre Preise in den Keller fallen
lassen, noch während wir sie von der Scannerkasse in unser Auto transportieren.
Die
Herstellungskosten einer Dampfmaschine halbierten sich einst innerhalb von 60
Jahren. Damit wurde die Dampfkraft erst industriell rentabel einsetzbar. Heutzutage
sind unsere Technologien ungleich schneller an einem Punkt angekommen, an dem
ihr Bereitstellungspreis gar einen Minimalwert erreicht, sodaß sich nur die
Leistung für den selben einfach vermehrt. So
verdoppelt sich die Leistung eines Computers gegenwärtig bei stagnantem Preis.
Und das alle 18 Monate.
Mit
vielen Augenzwinkereien und solchen überschaubaren Bildern kreiert das
Autorenkollektiv einen Mix aus unterhaltsam verpackten Fakten und
Schlußfolgerungen, der dem Leser die Hölle seines hektischen Daseins ein wenig
abkühlt. Der Erfolgs- und Mithaltezwang, in dem man zu leben glaubt wird
verständlicher, aber er wird nicht dämonisiert oder gar abgeschafft. Nein.
"Error
21" thematisiert jenes unsagbare Tempo, die "Frequenz
wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Umbrüche" und gibt
dabei zunächst höllisch Gas. Komischerweise schafft diese Methode die
Veranschaulichung besser, als alle mir bekannten Analysen und Versuche, die in
Büchern, Fernsehsendungen und anderen Medien dem Phänomen unserer Zeit gewidmet
werden.
Die
eindrucksvolle Darstellung des Gegenwärtigen in kurzen, messerscharfen Bildern
gestattet in meinen Augen dem gestreßten Echtzeitmenschen durchaus seine
Durchhänger. Es ist legitim, auch mal wahnsinnig zu werden und vollkommen in
Ordnung, wenn man den Film doch lieber in Zeitlupe sehen würde. Daß man dafür
aber ausgereifte digitale Technik braucht, lassen wir dabei mal unter den Tisch
fallen.
Noch
viel interessanter wird dann die Analyse des beschriebenen Gegenwartsproblems,
die uns erst einmal in einen Abriß der Geschichte unserer Kommunikation führt.
Was steht hinter dem Bedürfnis, ständig online zu sein, warum reden wir
miteinander, worüber reden wir... und wie würden wir reden, wenn wir keine
Sprache hätten... Jeder weiß das, wenn er spontan antwortet. Wie reden wir in
einem Land, dessen Sprache wir nicht sprechen? Wir reden mit Händen und Füßen.
Also landen wir in einem Buch über die rasante Technikentwicklung des 21
Jahrhunderts ebenso rasant mal bei der Fellpflege unserer Vorfahren.
Hier
ändert sich auch ein bißchen das Tempo des Buches, es gleicht sich ein dem
Thema an und gerät so in die Gefahr, langweilig zu erscheinen, gleich dem
Gefühl von 100 km/h, nachdem man von 200 runtergebremst, von der Autobahn auf
die Landstraße abgebogen ist. Doch spätestens nach dem ersten Blitzlicht von
Rechts weiß man wieder, daß man noch ganz gut unterwegs ist. Im Buch ist es der
gesponnene Zusammenhang zwischen Sippengröße und Sprache, der wieder aufhorchen
läßt. Zwar ist dieser Zusammenhang nicht neu, daß durch reden man mit mehr
Mitgliedern der Sippe in kürzerer Zeit Kontakt halten kann, als durch
Streicheln. ("Schatz, ich habe nur zwei Hände"), aber es ist immer
wieder beeindruckend, wie Gerhard Scheucher zusammengetragene Fakten mit eigenen
Schlüssen zu einem umwerfend ausdrucksstarken Bild zusammenfügt. In diesem Fall
kann der Urinstinkt, über andere zu reden, sogar als Ausrede für "Sex in
the City" und ähnliche Serien herhalten. So ist der Weg von den ersten
Lauten in der kahlgefressenen Steppe bis zur Videokonferenz über WLan ein
überaus amüsanter, kurzer Weg mit atemberaubenden Blicken auf unser War und
Werden.
Aber
der Untertitel heißt ja nicht vom "Streichelzoo zur SMS", sondern
"Überlebensstrategien für das 21 Jahrhundert". Und so bekommt der
Leser nach einer Sensiblisierung nicht nur neue Einsichten, sondern auch
Vorschläge mit auf dem Weg, die sich aber jenseits von Maßregeln oder Geboten
bewegen, vielmehr schlüssige Hinweise auf punktuelle Gefahren, die sich in
unseren Perspektiven ergeben. Natürlich wird dabei auch über die
"Probleme" der Globalisierung sinniert, jedoch wiederum genügend
anders, als wir das gähnend von der kollektiven Diskussion gewohnt sind.
Globalisierung
gibt es schon länger, als wir darüber reden. Die Welt wächst schon immer
zusammen, synchron mit unserem Verständnis über sie. Also ist, wörtlich
genommen, dieses Zusammenwachsen seit dem Umstand, daß wir auf einer Kugel
leben, eine "Globalisierung". Und dieser Umstand ist seit 1521
bewiesen. So.
Also
haben wir Menschen seit der ersten Weltumsegelung auch eine Globalisierung mit
all ihren Vorzügen und Nachteilen. Der Unterschied besteht unter anderem darin,
daß früher die Knechte zu den Maschinen transportiert wurden und daß es heute
umgekehrt ist. In einer Kommunikationsgesellschaft lebten wir schon, als wir
die Angst vor dem Feuer verloren. So sind viele Dinge, die uns ängstigen und
uns neue Krankheiten bescheren, eigentlich nur alte Erscheinungen im neuen
Gewand. Der Blick unter den Wolfspelz offenbart uns hier so manches Schaf, aber
auch einige Ungeheuer unserer Zeit, die es zu besiegen gilt.
Die
größte Gefahr allerdings scheint mir, im Spiegel dieses Buches, die
Verteufelung des Jetzt und die Angst vor der Zukunft zu sein. Diesbezüglich rät
der Autor mehrfach, die Kirche doch im Dorf zu lassen bzw. das Gras von ihrem
Dach zu werfen, anstatt mit vereinten Kräften die Kuh nach oben zu ziehen.
"Error
21" ist ein Sachbuch ohne Sachzwänge, ein beeindruckender Einblick in die
Mechanismen unserer Entwicklung und sicherlich auch ein Buch, das in seiner
Intensität seines Gleichen in den Türmen der neueren Veröffentlichungen
vergeblich suchen würde. Ich empfehle es ausdrücklich jedem nach
Zeitverständnis suchendem Menschen, jedem Nörgler, jedem Lehrer und jedem
Schüler, denn "Error 21" hat durchaus die Kraft, alte Strukturen zu
sprengen und Berge esoterisch spiritueller Pseudoweisheiten in die
Rohstoffwiederverwertung zu befördern.
"Back
To The Roots" heißt nämlich nicht zwingend "unter die Erde". Wir
müssen nicht wieder zu Fuß durch die Savanne. Es genügt auf 100 runterzubremsen
und die Prioritäten zu ändern. Wenn das "Gemeinsame ankommen" das
Ziel aller ist, und es nicht mehr darum geht, als erster am Ziel zu sein,
können wir uns auch wieder voll und ganz dem Wege an sich widmen und uns die
schicken Autos mit Navi und die BMW Chopper mit ABS weiter leisten. (Der
Sprecher drückt auf den Anlasser, legt den Gang ein und tuckert langsam los.
Kamera schwenkt ihm nach ins Schlußbild des roten Sonnenuntergangs.)