Spektrum der Wissenschaft
Wirtschaftswachstum verbessert nahezu alle Lebensbedingungen. Deshalb muss es
weitergehen, um die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme der
Gegenwart zu lösen. Und es kann weitergehen, denn dank dem menschlichen
Erfindungsgeist kann die Wirtschaft in Naturkreisläufe eingebunden werden,
sodass keine Rohstoff- und Umweltprobleme entstehen. Störungen ökonomischen
Fortschritts durch Finanzkrisen sind, wie alle anderen wirtschaftlichen,
politischen und sozialen Konflikte auch, ein Problem der "global
governance", also letztlich ein Manage-mentproblem, oder sie lösen sich
durch das Wachstum der Wirtschaft von alleine.
Mit dem vorliegenden Buch, einem "Bericht an den Club of Rome",
wollen die Autoren dem Pessimismus vieler Studien des Club of Rome - allen
voran das einflussreiche Buch "Die Grenzen des Wachstums" von 1972 -
einen wissenschaftlich begründeten "neuen Realismus" entgegensetzen.
Beide verfügen über reichlich Berufserfahrung in weltwirtschaftlichen Fragen:
Erich Becker-Boost war jahrelang in internationalen Entwicklungs- und
Finanzierungsorganisationen, darunter der Weltbank, tätig, Ernst Fiala war
langjähriges Vorstandsmitglied der Volkswagen AG und ist derzeit
Honorarprofessor an der Technischen Universität Wien.
Grundprinzip ihrer Untersuchung ist die Übertragung der Charakteristika
biologischer Wachstumsprozesse auf alle ökonomischen und sozialen Phäno-mene.
So wächst zum Beispiel eine Volkswirtschaft zunächst langsam, dann schneller,
bis ihre Größe sich unter Verlangsamung des Wachstums einem Endwert nähert.
Trägt man die Größe und ihre Wachstumsrate über der Zeit auf, so ergibt sich
für die Größe eine so genannte S-Kurve, für die Wachstumsrate eine
Glockenkurve.
In dieses Muster ordnen die Autoren nun zahlreiche ökologische, soziale und
wirtschaftliche Probleme ein. Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung,
Bildung, Information, Mobilität, Energienutzung, Konflikte und persönliches Glück
werden, geeignet quantifiziert, in Diagramme eingetragen, allerdings nicht über
der Zeit, sondern über dem kaufkraftbewerteten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf
(SBIP), das damit zur erklärenden Variable gemacht wird. Zugleich unterstellen
die Autoren mit dieser Betrachtungsweise, dass sich alle Bevölkerungsgruppen
bei gleichem Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt ähnlich verhalten. Die Ergebnisse
dieser Analyse dienen dann als Basis für Prognosen aller Art.
Das ist problematisch, sowohl vom theoretischen Ansatz als auch von der
empirischen Anwendung her. Die Autoren behaupten, dass Wachstum ein Merkmal
nicht nur junger biologischer, sondern auch junger ökonomischer und sozialer
Strukturen sei, ohne zu erklären, was unter einer "jungen" Wirtschaft
oder Gesellschaft zu verstehen ist, und vor allem ohne ihre Übertragung vom
Biologischen ins Soziale zu rechtfertigen. Es ist keineswegs evident, dass sich
das Muster genetisch gesteuerter Wachstumsprozesse auf Systeme übertragen
lässt, deren Entwicklung durch die Entscheidungen von Individuen gestaltet
wird.
Auch die Unterstellung, dass das SBIP und nur dieses die erklärende Variable
(und damit fast so etwas wie die Ursache) für alle anderen betrachteten
Phänomene sei, wird nicht gerechtfertigt. Eine solche Aussage kann
grundsätzlich nicht aus der empirischen Analyse hervorgehen, denn diese liefert
nur Korrelationen. Und die umgekehrte Kausalbeziehung ist in vielen Fällen
durchaus plausibel. So kann eine niedrige Wachstumsrate der Bevölkerung eine
Voraussetzung für ein höheres Pro-Kopf-Inlandsprodukt sein.
Es gibt auch andere Ursachen für Bevölkerungsveränderungen. So zeigen
beispielsweise demografische Arbeiten, dass die Stellung der Frau in der
Gesellschaft einen wesentlichen Einfluss auf die Geburtenrate ausübt. Dabei
muss, wie das Beispiel des indischen Bundesstaates Kerala zeigt, keineswegs ein
Zusammenhang zwischen dem Durchschnittseinkommen und der Stellung der Frau
bestehen. Noch deutlicher wird die Fragwürdigkeit dieser Annahme bei dem
behaupteten Zusammenhang zwischen der Zahl innerstaatlicher Konflikte und der
Höhe des SBIP. Sollte es wirklich ein Wohlstandsniveau geben, das sich zum
Führen von Bürgerkriegen besonders eignet - nicht zu wenig zum Kämpfen und noch
nicht zu viel zu verlieren -, und sonst keinen wesentlichen Grund?
Hinzu kommt, dass die Autoren stets Querschnittsbetrachtungen anstellen, sie
aber so interpretieren, als wären es Zeitreihen. Aber die Vergangenheit eines
entwickelten Landes gibt kein besonders getreues Bild von der Gegenwart eines
unterentwickelten. Hier hängt die Argumentation der Autoren an der These vom
ähnlichen Verhalten gleich reicher Staaten - und die wird nicht belegt.
Häufig ist nicht nachvollziehbar, warum gerade eine S-Kurve oder
Glockenkurve die beste Annäherung an die Punktewolken in den Diagrammen sein
soll. Dies gilt für viele Einzeluntersuchungen. Mit einer Regressionsanalyse
und statistischen Tests hätte man die Zuverlässigkeit der gewonnenen Ergebnisse
abschätzen können. Warum dieser Weg nicht beschritten wurde, bleibt unklar.
Neben diesen theoretischen und empirischen Arbeiten finden sich in der
Studie weitere Untersuchungen zu spezifischen Rohstoff- und Umweltproblemen
unserer Konsum- und Wirtschaftsweise sowie ethische Überlegungen zu den Folgen
wirtschaftlichen Handelns. Becker-Boost und Fiala wollen damit zeigen, dass
letztlich weder Rohstoffknappheiten noch Umweltprobleme existieren, da es für
alle Rohstoffe geeigneten Ersatz gebe und Umweltprobleme durch neue Techniken
gelöst werden könnten. Man müsse eben die künftige Entwicklung realistisch
einschätzen und die Lösung im Rahmen einer marktwirtschaftlichen
Wirtschaftsordnung suchen.
Das Buch wird seinem eigenen Anspruch auf eine realistische Einschätzung der
künftigen Entwicklung nicht gerecht; zu schwerwiegend sind die oben angeführten
Mängel. Was die allgemeine Sicht der Welt - optimistisch oder pessimistisch -
angeht: Dafür geben die empirischen Fakten in jedem Falle wenig her. Und die
Existenz rohstoffsparender und umweltfreundlicher Technologien allein ist noch
kein Anlass für Optimismus. Denn es bleibt äußerst ungewiss, ob sich eine
demokratisch verfasste Gesellschaft auch für deren Einführung entscheidet.
Rezensent: Frank Jöst
Kurzbeschreibung
Die steigende Wirtschaftsleistung verbessert fast alle Lebensumstände
(Lebenserwartung, Säuglingssterblichkeit, etc.) und bringt insbesondere das
Bevölkerungswachstum zum Stillstand. Die Autoren haben daher die Möglichkeiten
für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung untersucht. Dabei stellen sie fest,
dass letztlich alle erforderlichen Ressourcen ersetzbar sind. Der Bedarf an
frischen Rohstoffen ist beschränkt, weil ein immer größerer Anteil im
Kreislauf... Lesen
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung.- Die Weltwirtschaft und ihre nachhaltige Entwicklung.-
Wachstum.- Die Wirtschaftsleistung bestimmt die Lebensqualität.- Ein
Weltmodell.- Nahrung und Wasser.- Materielle
Ressourcen.- Energie.- Land, Verkehr, Umwelt, Klima.- Moral und Erwerb.-
Arm und reich.- Zusammenfassung.
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